Dezember 2019, Susanne Jung
Fundamental Rights First
Vorhang auf für zehn Jahre EU Grundrechte Charta,
Vorhang auf für Würde, Freiheit, Gleichheit und Solidarität
Wer einen Stern auf der Leinwand aufgehen sieht, gefolgt von unzähligen Lichtpunkten, die sich zu Städtenamen formen, sitzt im Kino. Und sieht den Trailer des Europa Cinemas Netzwerks, das von der Europäischen Union (EU) gefördert wird.
Europa und die EU stehen auf Sterne. Zwölf in Gold auf blauem Grund im Kreis symbolisieren ihre Werte Einheit, Solidarität und Harmonie. Die EU strebt einen Staatenverbund mit einer Wertegemeinschaft an, der für das friedliche Zusammenleben von Nationen und Menschen steht – hinaus gedacht über sich selbst, „larger than (our) lifes“: Das ist großes Kino.
Seit zehn Jahren weist die „Charta der Grundrechte der EU“ den Weg zu den „unteilbaren und universellen Werten der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität“, auf denen sich die EU gründet, wie die Präambel statuiert. „Sie beruht auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Sie stellt den Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns, indem sie die Unionsbürgerschaft und einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts begründet.“
Insgesamt 54 Artikel stark, ist die EU Grundrechte Charta am 1. Dezember 2009 mit dem Vertrag von Lissabon in Kraft getreten. Alle, bei denen gerade kein Stern sondern ein Fragezeichen aufgeht, stehen nicht allein: Nach einer Eurobarometer Umfrage vom Juni 2019 haben EU-weit nur zwölf Prozent der Menschen davon gehört.
Dabei trägt die moderne Charta den wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen unserer Zeit Rechnung. (z. B. Art. 3 (2) d Klonverbot). Sie arbeitet an ihren Schwächen (Art. 41, Recht auf gute Verwaltung) und beinhaltet die zeitgenössischen europäischen Normen einer verantwortungsvollen Staatsführung: Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung (z. B. Art. 26 Integration von Menschen mit Behinderung), Sozialpolitik, Ökologie, (z. B. Art. 37 Verbesserung der Umweltqualität) Bürgerrechte (Art. 43 Europäische Bürgerbeauftrage), Verwaltung und Justiz. Die Menschenrechte und Grundsätze aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der EU Mitgliedstaaten werden umfassend berücksichtigt. Weil die EU ein Verbund aus souveränen Staaten ist, kann sich auf die Rechte der Charta vor Gericht nur berufen, wer sich durch die Organe der EU in einem dieser Rechte beeinträchtigt sieht. Ansonsten und primär gilt nationales Recht.
Doch die Wirkung der Charta strahlt aus – in die Auslegung von Normen durch nationale Verwaltungen und in die Urteile der Gerichte.
Sie entfaltet ihre Kraft und fließt mit ihren Werten ein durch die verbindlichen Rechtsakte der EU, die ins nationales Recht wirken: Bekannte Beispiele sind die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO, Art. 8), der Plastiktütenverordnung (Art. 37) und den EU-Antidiskriminierungsrichtlinien (Art. 21).
Enorme Kraft liegt im Vorschlag der Europäischen Kommission, die Einhaltung und Achtung der Charta zukünftig (angedacht ist der Zeitraum von 2021 bis 2027) zu einer der grundlegenden Voraussetzungen für die Verwendung der EU-Mittel in den Mitgliedstaaten zu machen.*
Weltweit unterstützt und ergänzt die Charta mit ihren Menschen- und Grundrechten die 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals – SDGs). Die SDGs beinhalten eine konkrete politische, globale Agenda, die Charta spannt den normativen Rahmen für rechtliche Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten.
Würde, Freiheit, Gleichheit, Solidarität: Der Mensch und sein Wohl stehen im Mittelpunkt – du, ich, wir. Es lohnt sich, die 54 Artikel der Charta der Grundrechte der EU zu lesen, sie wirken auf unsere Leben – und das nächster Generationen.
Ein guter Zeitpunkt ist vielleicht vor dem nächsten Kinobesuch.
Quellen:
Text der EU Grundrechte Charta
www.europarl.europa.eu/germany/resource/static/files/europa_grundrechtecharta/_30.03.2010.pdf
*Grundrechte Bericht 2019, European Agency for Fundamental Rights Agency (FRA)
https://fra.europa.eu/de/publication/2019/grundrechte-bericht-2019-fra-stellungnahmen