Das eigene Leben und das der anderen

Geschichten zur Nachhalt ich keit

 

Das Feld zwischen Freiheit und Verantwortung, Kauflust und ressourcenschonendem Konsum ist facettenreich.  Nachhalt ich keit – und im Wortspiel schon die Ambivalenz – das eigene Leben und das der anderen, jetzt und die Zukunft.
Wie soll ich leben? Welche Entscheidungen muss ich abwägen? Wieviel Platz brauche ich – und wieviel die anderen?
Drei Geschichten aus unseren Leben mit Fragen von Bedeutung.

Familiengesch ich te

„Wo ist Taiwan?“
Mein Sohn fragt mitten in meine Gedanken hinein.
Ein ganz neues Projekt, es geht um Spielzeug.
„In Asien, neben China“, sage ich und hole den Drehglobus, den er vor ein paar Wochen zur Einschulung bekommen hat.
Hochwertige Stofftiere, eine Traditionsmarke aus Deutschland, neue Positionierung. Die Hauptidee: Zurückverlagerung der gesamten Produktion ins Inland.
Mein Sohn dreht den Globus. „Kasachstan, China“, er stockt kurz, „Taiwan“, sagt er und deutet auf die Insel, die ungefähr so groß ist wie Baden-Württemberg.
Erdacht und neu gemacht in Germany.
„Warst Du schon in Taiwan?“ Er wartet meine Antwort nicht ab. “Ich will da mal hin.“
Die gesamte Produktionskette umverlagern. Spezialisierte Werkstätten finden, integratives Arbeiten… „Wieso Taiwan?“ frage ich und schaue ihn an.
„Willy kommt da her“, sagt er.
…vielleicht könnten einfachere Arbeitsprozesse auch an Einrichtungen für disabled persons vergeben werden.
„Willy?“
„Der Eisbär, den Oma mir geschenkt hat“, sagt er geduldig mit nur ganz leicht genervtem Unterton. „Mensch Papa, in welcher Welt lebst du eigentlich?“
„Gute Frage“, denke ich und sage: „Aha, ist ja interessant.“

Arbeitsgesch ich te

Der Flughafen Frankfurt liegt hinter mir, vor mir ein kleiner Ort am Fuße des Feldbergs. Menschen aus unterschiedlichen Generationen leben gemeinsam auf einem Hofgut; meine Mutter wohnt seit einem halben Jahr dort.
Meine Gedanken springen zwischen den Erlebnissen der letzten Tage hin und her. Eine Woche Bangkok, erster offizieller Termin als Mitarbeiterin einer nationalen Entwicklungs- und Umweltorganisation. Meetings und Vorträge, eine Stadtführung, Ausflüge. Konferenzteilnehmer aus aller Welt.
„Wir setzen uns für eine zukunftsfähige Entwicklung ein – sozial gerecht, ökologisch verträglich, ökonomisch tragfähig”, erläutere ich die Grundzüge meiner Arbeit. Meine Mutter hat mich am Hoftor abgeholt und wir sitzen im Schein einer Kerze an ihrem Küchentisch. Sie hat Tee und Brot mit Quark und Kräutern vorbereitet.
„Wie wollt Ihr das erreichen?“ Meine Mutter schenkt mir vom aromatisch duftenden Tee nach.
„Dass es weitergeht mit dem Kyoto-Protokoll“, sage ich. „Dort wurden erstmals verbindliche Werte für den Ausstoß von Treibhausgasen festgelegt, die nicht überschritten werden sollen. Mehr als 190 Staaten machen mit, Afghanistan und vor allem die USA allerdings haben das Protokoll nicht unterzeichnet.“
Meine Mutter schaut mich aufmerksam an.
„Das Ziel ist, die globale Durchschnittstemperatur um nicht mehr als zwei Grad ansteigen zu lassen. Dazu muss der Ausstoß von Treibhausgasen weltweit stark verringert werden. Also weniger fossile Brennstoffe wie Öl und Kohle nutzen, weniger Viehhaltung, Eindämmen der Rodung von Wäldern. So können die Gefahren des genannten Treibhauseffekts begrenzt werden, vor allem die globale Erwärmung.“
Ich trinke einen Schluck Tee: „Bei der Frage, wie viel eingespart werden kann, geht es vor allem um wirtschaftliche Entwicklung und die Verteilung von Chancen. Die alten Industrieländer wollen nicht, wie bisher, die volle Verantwortung für den Klimaschutz tragen. Auch Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien und Südafrika sollen ihre Emissionen deutlich senken.“
„Klingt nach langen Verhandlungen.“
„Ja.“ Ich muss gähnen, schlagartig unglaublich müde.
„Ruh dich erstmal aus, es ist ja schon spät.“ Meine Mutter gibt mir einen Schlüssel, an dem ein bemaltes
Herz aus Holz hängt. „Die nächste Tür links, dein Zimmer ist nebenan.“
„Ein heißes Bad wäre schön“, sage ich. „Mein Nacken ist ziemlich verspannt, im Flugzeug lief die Klimaanlage auf Hochtouren.“
Meine Mutter ist ein bisschen verlegen: „Es gibt nur eine Außendusche, bis die Solaranlage im Sommer installiert wird. Ich kann dir aber Wasser heiß machen.“
Sie zeigt auf eine große Porzellanschüssel, die mich an die Waschkommode im Haus meiner Großeltern erinnert. Wasser auf dem Holzofen wärmen fürs samstägliche Bad.
Ich kämpfe gegen mein Gähnen an. „Mach Dir keine Umstände, baden kann ich auch wieder zu Hause.“

Feriengesch ich te

Die Plastikflasche ist leer. Vorher war gekühltes Wasser drin, bei einem fliegenden Händler direkt am Hafen gekauft. Ein Euro für einen halben Liter, das ist okay für eine der beliebtesten Ferienregionen im Süden. Fast Mittag, die Sonne brennt und das Plastik zwischen meinen Händen wird mir unangenehm. Den Rucksack habe ich im Hotelzimmer gelassen, nur Geld und Handy in der Hosentasche, wohin jetzt mit der Flasche? Ausgetrunken macht sie in meiner Hand keinen Sinn mehr. Ich will ein Foto mit meinem Handy machen, die Flasche behindert mich. Ich stelle sie kurz ab, was für ein schöner Strandblick, zwei Palmen wie auf einer Ansichtskarte. Hebe die leere Plastikflasche wieder auf und gehe weiter. Hab ich den Mülleimer jetzt übersehen oder gibt’s hier keine?
Ist wohl ein öffentlicher Strand, liegt ziemlich viel Müll rum: Dosen, Plastikfetzen, alte Kleidungsstücke, Kanister, Blechteile. Ein paar ältere Männer suchen den Sand ab, als ob sie etwas verloren hätten.
Ich werfe die Flasche hoch und fange sie wieder auf, das Plastik knirscht zwischen meinen Fingern. Das Meer an meinen Füßen ist angenehm kühl, die Sonne brennt vom wolkenlosen Blau, ein Glück habe ich mir gestern den Strohhut gekauft. Die Wellen schlagen bis an meine Waden. Ich stelle die Flasche in den Sand und krempele die Beine meiner Jeans hoch. Als ich mich aufrichte wird sie grade von einer Welle überspült. Schnell taucht die Plastikflasche wieder auf, so leicht wie sie ist. Wenn ich sie jetzt holen will, muss ich bis zum Bauch ins Wasser, oder bis zu den Hüften mindestens. Aber Schwimmzeug hab ich nicht dabei.
Was mache ich denn jetzt? Irgendwer räumt den Müll hier bestimmt mal weg, oder. Unschlüssig drehe ich mich um und spüre den Meerwind im Gesicht. Ich strecke die Arme aus und drehe mich einmal um mich selbst. Endlich Ferien!